Gesetze ändern sich
Gesetze ändern sich
Wir brauchen ein neues Urheberrecht! Denn wenn wir weitermachen wie bisher, brechen wir jeden Tag das Gesetz, nur weil wir das Internet nutzen. Wenn wir weitermachen wie bisher, geht die Kunst unter. Kunst war schon immer Kopieren, Zitieren und Remixen. Und jetzt soll illegal sein, was Andy Warhol, Gotye und die Bibel groß gemacht hat?
„Das Internet lässt sich heute nicht mehr nutzen, ohne jeden Tag gegen Gesetze zu verstoßen.“
Ich breche das Gesetz. Jeden Tag. Ich poste Links bei Facebook – obwohl ich das nicht darf, weil ich keine Rechte am Vorschaufoto besitze. Ich teile YouTube-Videos, die mir gefallen – obwohl ich sie nicht selbst gedreht habe. Ich twittere Gags, die ich gehört habe – obwohl sie von Leuten erfunden wurden, die damit Geld verdienen. Ich nutze das Internet. Aber das Internet lässt sich heute nicht mehr nutzen, ohne jeden Tag gegen Gesetze zu verstoßen.
Auf die Spitze treibt das der neue Online-Dienst Pinterest, der gerade in den USA einen Riesenhype erlebt. Bei Pinterest legt man sich nach Themen sortiert Pinnwände an: eine für Dekoideen, eine für Urlaubsziele, eine für Geschenke. Wer im Netz etwas findet, das an eine dieser Pinnwände gehört, kann es mit einem Klick dort anpinnen. Pinterest ist also eine hübsche Linksammlung – allerdings mit riesigen Vorschaubildern. Und fast jedes Anpinnen ist eine Urheberrechtsverletzung. Denn wer fragt schon den Fotografen?
Deutschland auf dem digitalen Standstreifen
Ein Kölner Rechtsanwalt hat den Kollegen vom SPIEGEL gesagt: Die Facebook-Pinnwand eines 16-Jährigen sei im Schnitt 10.000 Euro Abmahnkosten wert. Das ist zwar umstrittenen, zeigt aber so verdammt gut: Das Internet ist im Jahr 2012 angekommen, wir Nutzer mit ihm, aber unser Urheberrecht ist ein Dinosaurier aus der Zeit davor. Deutschland schießt sich selbst ins Knie. Es sind keine Innovationen mehr möglich, es kann kein Land der digitalen Dichter und Denker aus uns werden, wir stehen auf dem digitalen Standstreifen, wenn nicht dringend etwas passiert.
Die andere Sichtweise
Rechtsanwältin Nina Diercks befürwortet das aktuelle Urheberrecht
Ach, und wo wir gerade bei Dichtern und Denkern sind: Ich bin nicht traurig darüber, dass es mit kino.to vorbei ist, und ich habe auch kein Mitleid mit den Nutzern, die jetzt um ihre Daten bei Megaupload fürchten. Musik oder Kinofilme weiterzuverbreiten, mit denen ihre Macher Geld verdienen, ist nicht schön. Aber es muss da eine Grenze geben, denn sonst verhindern Anwälte mit ihren Abmahnungen im Rücken, dass auch im Netz gute Kunst entsteht.
Andy Warhol, Gotye und die Bibel
Die komplette Kunst beruht doch auf Kopieren, Zitieren und Remixen. Gestern habe ich einen Artikel über eine Ausstellung gelesen, mit Werken von Andy Warhol und Keith Haring. Die beiden hatten sich darüber aufgeregt, dass Nacktheit verpönt ist. Also haben sie sich einen Zeitungsbericht über die nackte Madonna genommen, ihn grün angemalt, einen rosa Rahmen darum gezogen, ein Herzchen rund um Madonna, und darüber der Spruch: „Madonna on Nude Pix: So what!“ Wo bleibt da der Anwalt des Zeitungsverlags mit seiner Abmahnung?
Auf whosampled.com findet man eine Datenbank mit Songs und den darin genutzten Samples. Gotye hat für „Somebody That I Used to Know“ ein Sample aus einem Luiz-Bonfá-Song aus den 60ern genutzt, Avicii für „Levels“ ein Sample aus einer genauso alten Etta-James-Nummer – und Flo Rida für „Good Feeling“ ein Sample aus „Levels“ von Avicii. So wenige Songs in den Charts kommen ohne Sample aus, aber wenn ein Normalo sein eigenes Werk bei YouTube damit versieht, steht plötzlich die Musikindustrie vor der Tür und verlangt Geld?
Hätten wir heute die Bibel, wenn damals schon Anwälte durchs gelobte Land gelaufen wären und jedem verboten hätten, die Geschichten zusammenzutragen und zu veröffentlichen, die er gehört hat, weil ganz andere Leute die Rechte daran besitzen?
Andere Zeiten, andere Gesetze
Die Welt ändert sich – das Internet stellt vieles auf den Kopf. Dafür müssen auch die Gesetze geändert werden. Es bringt nichts, sie bis zum letzten Moment zu verteidigen, wenn der Fortschritt links und rechts an uns vorüber zieht. Das hält Anwälte und die Industrie am Leben. Aber die Künstler? Vielleicht müssen sie einfach neue Wege finden. In der Musik verdienen sie schon lange oft mehr Geld mit Konzerten als mit CD- und MP3-Verkäufen. Und Stück für Stück werden mehr von ihnen im Netz berühmt – und nicht mit Hilfe der Industrie.
Es wäre Zeit, das Urheberrecht zu lockern – und nicht noch mehr in Stein zu meißeln oder zu verschärfen, wie es SOPA, PIPA, ACTA und alle anderen Projekte wollen, die bestimmt noch folgen. Es wäre Zeit, Kulturschaffende und Künstler nicht mehr zu verfolgen und mit Filesharern auf eine Stufe zu stellen. Am Urheberrecht muss sich dringend etwas tun. Ändern sich die Zeiten, ändern sich die Gesetze.
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Quelle: einslive.de